Selbst aus einer „Mischehe“ stammend, setzte er sich Lorenz Jaeger theologisch und pastoral während seiner gesamten Amtszeit mit ökumenischen Fragen auseinander. Im deutschen Episkopat und im II. Vatikanischen Konzil zeigte sich seine Leidenschaft für die Ökumene. Die Referenten beleuchteten kritisch unterschiedliche Aspekte seines theologischen Denkens und praktischen ökumenischen Handelns.
Der Jaeger-Stählin-Kreis
Dominik Burkard (Würzburg) eröffnete die Reihe der Vorträge mit der Frage, welche Rolle Jaeger im sogenannten „Jaeger-Stählin-Kreis“ zwischen 1946 und 1958 einnahm. Dabei führte er drei Beobachtungen aus: Die Bezeichnung „Jaeger-Stählin-Kreis“ tauche erstens so nicht in den Quellen auf. Hier sei die Rede von „Arbeitsgemeinschaft“, „Theologenkommission“ oder schlicht „Arbeitskreis“. Zweitens: Jaeger trat in der theologischen Sachdiskussion nicht auf. Drittens: Die prägenden Gestalten waren stattdessen Paul Simon, Josef Höfer und Hermann Volk. Daraus ergebe sich die Frage, warum sich Jaeger fast nie zu Wort meldete. Nach Burkard sei dies auf eine Scheu Jaegers zurückzuführen, dass seine Positionen autoritativ gewertet würden. Er wies auf die Bedeutsamkeit von Seitengesprächen hin. Der Anteil Jaegers an der Entstehung des „Arbeitskreises“ 1946 sei als Endpunkt einer langen und komplizierten Entwicklung zu beschreiben, wobei die treibende Kraft wohl Dompropst Paul Simon gewesen sei.
Im Anschluss daran wies Volker Leppin (Tübingen) auf die Asymmetrie in den Anfangsjahren des Ökumenischen Arbeitskreises hin: Wilhelm Stählin hatte als evangelischer Bischof kaum direkten Kontakt mit Jaeger, sondern eher mit Paul Simon und nach dessen Tod mit Josef Höfer. Dieser aber verlor im Zusammenhang seines gescheiterten Versuchs, eine evangelische Stellungnahme zum Assumptio-Dogma an den Papst zu vermitteln, das Vertrauen der evangelischen Partner, so dass dann doch mehr und mehr Jaeger selbst in den Vordergrund rückte. Aus der Zusammenarbeit erwuchs ein vertrauensvolles Miteinander, in dessen Verlauf es auch möglich wurde, diplomatische Vermittlungen zwischen EKD und DBK vorzunehmen.
Joachim Schmiedl (Vallendar) führte aus, dass Jaeger zu besonderen Gelegenheiten und regelmäßigen Anlässen einen Hirtenbrief schrieb. Neben den Fastenhirtenbriefen seien eine Besonderheit in der lehramtlichen Verkündigung Jaegers die Schreiben an den Klerus, die er mit großer Regelmäßigkeit zu jedem Neujahr verfasste. Sie zeigten ihn als Bischof, der von seinen Priestern hohen Einsatz erwartete, aber auch ihre Nöte und Sorgen registrierte. Wichtige Schwerpunkte blieben ihm die Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist, worunter er vor allem den Liberalismus, Individualismus und Kollektivismus fasste. Nicht nur den Priestern, sondern allen Gläubigen empfahl er ein heiligmäßiges Leben. So stark Jaeger vom konziliaren Aufbruch, besonders im Hinblick auf die Ökumene, ergriffen war, wird doch auch deutlich, wie ab 1968 eine Ernüchterung Platz griff.
Zurück in den Schoß der katholischen Kirche?
Jörg Seiler (Erfurt) charakterisierte die ökumenische Haltung Jaegers näher in seinem Vortrag „‘Offene Türen‘ – Konvertitenseelsorge – Una fides. Spannungsfelder für Jaegers Ökumenearbeit in den 1950er-Jahren“. Dabei wurde deutlich, dass der Ökumeniker Jaeger die progressive Una-Sancta-Bewegung möglichst ausschließen wollte, während er hingegen zum Beispiel Sympathien für den Winfriedsbund hegte. Dieser kümmerte sich vor allem um die Konvertitenseelsorge. Eine Anlaufstelle für Konversionswillige war in Dortmund zudem die „Offene Tür“, aus welcher sich später die Telefonseelsorge entwickelte. Insgesamt zeigten die Initiativen Jaegers zur „una fides“ seine Bemühungen um eine „rechtgläubige Ökumene“.
Jaegers Möhler-Institut
Den Freitag eröffnete Michael Hardt (Paderborn) und würdigte die Förderung der ökumenischen Forschung und die Mitarbeit im Netzwerk der Ökumene als eine der bedeutenden geschichtlichen Leistungen des zweiten Paderborner Erzbischofs Lorenz Jaeger. In der Fuldaer Bischofskonferenz brachte Jaeger eine Reihe von ökumenischen Initiativen auf den Weg, zuletzt mit der Gründung des Johann-Adam-Möhler-Instituts in Paderborn in der alleinigen Trägerschaft des Erzbistums Paderborn. Das Institut sollte die Erträge der Konfessionskunde und Kontroverstheologie der vergangenen Jahrzehnte sammeln und bündeln und Mitarbeiter für den Dienst in der Diaspora theologisch zurüsten. In der Konsequenz der ökumenischen Initiativen von Lorenz Jaeger liege auch seine Initiative zur Gründung des Einheitssekretariats in Rom und seine Mitarbeit in den Gremien des Zweiten Vatikanischen Konzils zur Vorbereitung des Ökumenismusdekretes.
Nach Burkhard Neumann (Paderborn) schrieb Erzbischof Lorenz Jaeger der Theologie zwar immer eine besondere Verantwortung für die Überwindung der Kirchenspaltung zu, aber diese spiegelte sich faktisch erst ab 1956, im Zusammenhang mit der Errichtung des Johann-Adam-Möhler-Instituts, im Lehrangebot der Philosophisch-Theologischen Akademie Paderborn wider. Vor allem aufgrund der personellen Ausstattung finde sich in den Jahren nach dem II. Vatikanischen Konzil ein ungewöhnlich reiches Angebot an Lehrveranstaltungen zu ökumenischen Fragestellungen an der Theologischen Fakultät Paderborn. Wie die Berufung Paul-Werner Scheeles zum Leiter des Johann-Adam-Möhler-Instituts deutlich machte, schien Jaeger aber im Blick auf Bedeutung der Theologie für die Ökumene mehr am Institut und seiner Arbeit interessiert gewesen zu sein als an dem Lehrangebot seiner Theologischen Fakultät.
Im Anschluss daran ging der Liturgiewissenschaftler Stefan Kopp (Paderborn) auf den Gründungsprozess der beiden einzigen ökumenischen Kirchenzentren im Erzbistum Paderborn ein (Meschede-Nord und Hagen-Helfe). Angesichts der dünnen Quellenlage lasse sich nur am Beispiel von Hagen-Helfe Jaegers Rolle deutlich herausarbeiten. Hier stellte sich heraus, dass sich Jaeger im Vorfeld Sorgen um die Nivellierung ökumenischer Grenzen machte. Die Initiativen für beide ökumenische Kirchenzentren kamen auch nicht „von Oben“, sondern aus den Gemeinden. Diese Impulse dürften auf die Intensivierung ökumenischer Beziehungen in den 1960er-Jahren zurückzuführen sein. Die Kirchenleitungen (kath. und ev.) stimmten 1969/1970 zwar grundsätzlich zu, hegten aber in beiden Fällen auch jeweils Bedenken, die sich bis in die bauliche Gestaltung auswirkten.
Heiße Eisen
Der Vortrag von Lucia Scherzberg (Saarbrücken) konzentrierte sich auf die Themen „Situation in der evangelischen Kirche und Theologie“, „Interkommunion“ und „Anerkennung der Ämter“ und Lorenz Jaegers entsprechende Beurteilungen und Entscheidungen in den Jahren 1966 bis 1973. Vor allem in Berichten zur ökumenischen Lage, die Jaeger für verschiedene Gremien verfasste, äußerte er sich recht offen. So betrachtete er angesichts der Explosion des evangelikalen Protests gegen die Theologie Rudolf Bultmanns und seiner Schüler im Jahr 1966 die evangelische Kirche als gespalten, die weder durch die kirchliche Leitung noch durch die Theologie repräsentativ sprechen könne. Seine Haltung zur Interkommunion war eindeutig ablehnend. Die Angst vor einer „Unterwanderung“ durch die evangelische Theologie und die scharfe Abgrenzung im Amtsverständnis führten 1973 zur vehementen Ablehnung des sogenannten „Ämtermemorandums“ theologischer Universitätsinstitute. Definiere man ökumenische Theologie als die Suche nach den Gemeinsamkeiten zwischen den Konfessionen, aufgrund deren verbleibende Differenzen hinsichtlich ihres kirchentrennenden Charakter befragt werden müssten, war Lorenz Kardinal Jaeger kein ökumenischer Theologe, sondern ein Kontroverstheologe alten Stils, der allerdings das „protestantische Prinzip“ für ein Korrektiv für die katholische Kirche halten konnte.
Thomas Pogoda (Magdeburg) zeigte auf, dass Lorenz Jaeger und sein Peritus Eduard Stakemeier sowohl in der Zeit vor, während und nach dem Konzil mit dem Thema Einheit der Kirche – anfänglich in der Diktion „Wiedervereinigung im Glauben“ später dann „Ökumenismus“ – befasst waren. Stakemeier fungierte dabei als wichtiger Zuarbeiter für den Paderborner Erzbischof. Zunächst standen das Werben für und das Erklären des bevorstehenden Konzils sowie die Erarbeitung qualifizierter Eingaben im Zentrum. Mit ihrer Beteiligung am Einheitssekretariat fanden sie einen Rahmen, in dem sie an den dort stattfindenden Arbeiten und auch den Erneuerungsprozessen im Verständnis von Ekklesiologie und Ökumene partizipierten.
Als Ökumeniker in Rom
Saretta Marotta (Leuven) rekonstruierte Jaegers Rolle für die Anfangszeit von zwei parallelen ökumenischen Wegen, die in die Gründung des Einheitssekretariates mündeten, und zwar der Weg von Johannes Willebrands als Sekretär der Katholischen Konferenz für die ökumenischen Fragen und der Weg des Jesuiten Augustin Bea als Fürsprecher der Ökumene innerhalb des römischen Heiligen Offiziums. Jaeger stand seit Anfang 1951 mit beiden Männern in Verbindung, als Willebrands beim Erzbischof um Unterstützung für die Entstehung der Katholischen Konferenz nachsuchte und Bea Beichtvater von Pius XII. und Konsultor des Heiligen Offiziums war. Jaeger nahm das Angebot an, Mitglied eines internationalen Komitees von Bischofs-Garanten für die Katholische Konferenz zu werden und riet Willebrands, sich in Rom an Bea zu wenden, damit dieser ihm für die Zustimmung des Heiligen Offiziums zum neuen Gremium helfe. Auf diese Weise drängte Jaeger Bea in die Rolle des Spezialisten und Ratgebers für die deutsche Una-Sancta-Arbeit.
Judentum und Orthodoxie
Am Samstagvormittag lenkte Thomas Brechenmacher (Potsdam) den Blick auf die Bedeutung Jaegers für den jüdisch-christlichen Dialog. Der Erzbischof wusste um die eminente politische Bedeutung des Dialogs mit den Juden, nicht zuletzt aufgrund seiner eigenen Erfahrungen mit der Judenverfolgung während der Jahre des Weltkriegs. Aus den Dokumenten seines Nachlasses lasse sich zeigen, wie Jaeger diese Erfahrungen verarbeitete und auch in den Kategorien von „Mitschuld“ und „Schweigen“ der Kirche zu bewerten wusste. Er unterstützte Initiativen des christlich-jüdischen Dialogs, in Deutschland vor allem diejenigen des „Freiburger Kreises“ um Gertrud Luckner. Die Konzilsdeklaration „Nostra Aetate“ trug er nicht nur inhaltlich voll mit, sondern half sie in kritischen Situationen auch öffentlich zu unterstützen. Hingegen konnte er in der deutschen Bischofskonferenz in den frühen 1970er-Jahren das Anliegen nicht durchbringen, eine eigene „Judenerklärung“ zu verabschieden. Desgleichen scheiterte in der Frühphase der Würzburger Synode ein von Jaeger unterstützter Antrag, ein eigenes Dokument zum Verhältnis der Kirche zu den Juden zu verabschieden.
Im Anschluss daran zeigte Johannes Oeldemann (Paderborn), dass sich Jaeger, trotz der vereinbarten Aufgabenteilung innerhalb der Bischofskonferenz zwischen Paderborn und Wien bzw. später zwischen Paderborn und Regensburg, auf verschiedenste Weise im Dialog mit den Kirchen des christlichen Ostens engagiert hat. Hervorzuheben sei dabei insbesondere sein Engagement für orthodoxe Stipendiaten in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre. Darüber hinaus pflegte er persönliche Beziehungen zu führenden Hierarchen der katholischen Ostkirchen. Er schätzte die ostkirchenkundliche Forschungsarbeit von P. Kilian Kirchhoff OFM und Dr. Johannes Madey. In seinen Stellungnahmen vor, während und nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil verwies er immer wieder auf die Bedeutung des ökumenischen Dialogs mit der Orthodoxie. Das alles zeuge von seiner hohen Sensibilität in ökumenischen Fragen.
Konfessionsverschiedene Ehen
Schließlich führte der Kirchenrechtler Rüdiger Althaus (Paderborn) aus, dass die neue Sichtweise des II. Vatikanischen Konzils auf die nichtkatholischen Christen eine Neubewertung konfessionsverschiedener Ehen verlangt habe. Ein vom Konzil dem Papst vorgelegtes Votum fand Eingang in das Motuproprio Matrimonia Mixta von 1970, dessen Rahmenrecht inhaltlich bis heute gilt, und das die Bischofskonferenzen zu präzisieren haben. Zu den neuralgischen Punkten zählen die Sicherung der Pflicht zur katholischen Kindererziehung und die Möglichkeit einer Dispens von der katholischen Eheschließungsform. Kardinal Jaeger begleitete für die Deutsche Bischofskonferenz sowohl das Werden der gesamtkirchlichen Gesetzgebung wie auch deren partikulare Ausgestaltung. Die Akten lassen deutlich sein persönliches Engagement erkennen, so der Referent, und das Ausloten der Möglichkeiten durch Einbeziehung von Kirchenrechtlern sowie die Suche des ökumenischen Gesprächs.
In der abschließenden Diskussion wurde deutlich, dass die Motivation Jaegers für sein ökumenisches Engagement noch stärker herausgearbeitet werden müsste. Hierbei sind besonders die politischen Kontexte zu berücksichtigen. Jaeger war kein Theoretiker der Ökumene, er handelte als konservativer Pragmatiker. Ein möglicher Perspektivwechsel erfolgte durch seine Mitarbeit am Einheitssekretariat. Bedeutsam erscheinen auch begriffsgeschichtliche Beobachtungen. So taucht der Begriff „Ökumene“ wohl erst mit dem Zweiten Vatikanum in Jaegers Wirken auf. Die nächste Tagung des Projektes wird vom 27. bis 29. August 2020 zum Thema „Jaeger als Kirchenpolitiker“ stattfinden.
Nicole Priesching
Konferenzübersicht:
Dominik Burkard (Würzburg): Chefsache Ökumene. Der „Jaeger-Stählin-Kreis“ und sein Initiator (1946–1958)
Volker Leppin (Tübingen): Lorenz Jaegers Einsatz für die Ökumene vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil in den Augen seiner lutherischen Partneroachim Schmiedl (Vallendar): Verkündigung und Lehramt Lorenz Jaegers im Spiegel seiner Hirtenschreiben
Jörg Seiler (Erfurt): „Offene Türen“ – Konvertitenseelsorge – Una fides. Spannungsfelder für Jaegers Ökumenearbeit in den 1950er-Jahren
Michael Hardt (Paderborn): Die Anfänge der Ökumene im Erzbistum Paderborn und das Möhler-Institut als Instrument von Erzbischof Lorenz Jaeger im Netzwerk der Ökumene
Burkhard Neumann (Paderborn): Ökumene als Aufgabe der Theologen. Die ökumenische Theologie an der Theologischen Fakultät Paderborn
Stefan Kopp (Paderborn): Gemeinsam leben – gemeinsam beten – gemeinsam bauen. Ökumenische Kirchenzentren im Erzbistum Paderborn
Lucia Scherzberg (Saarbrücken): Jaeger und die Ökumene von 1966–1973
Thomas Pogoda (Magdeburg): Lorenz Jaeger und Eduard Stakemeier – zwei Ökumenepioniere auf dem Konzil
Saretta Marotta (Leuven): Jaegers Rolle für die ökumenischen Anfänge von Johannes Willebrands und Augustin Bea
Thomas Brechenmacher (Potsdam): Lorenz Jaeger und der christlich-jüdische Dialog
Johannes Oeldemann (Paderborn): Lorenz Kardinal Jaeger und die Paderborner Beziehungen zu den Kirchen des christlichen Ostens
Rüdiger Althaus (Paderborn): Lorenz Jaeger und die Reform des Mischehenrechts nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil
Der Tagungsband erscheint im Sommer 2020.