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Kommission für kirchliche Zeitgeschichte im Erzbistum Paderborn
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02.02.2023
Paderborn
Veröffentlichungen

Ökumenische Flüchtlingshilfe: Das NRW-Sozialwerk Stukenbrock

Über das NRW-Sozialwerk Stukenbrock, von 1948 bis 1970 Aufnahmestelle aller Wohlfahrtsverbände für Kriegs- und DDR-Flüchtlinge, Ostvertriebene und Spätaussiedler ist kürzlich eine Monografie erschienen, die auch den Paderborner Priester Paul Kewitsch (1909-1997) würdigt.

In den Beiträgen zur Westfälischen Kirchengeschichte der Evangelischen Kirche von Westfalen hat Frank Stükemann die über zwanzigjährige Geschichte der Flüchtlings-, Vertriebenen und Spätaussiedlereinrichtung nachgezeichnet.
Eine Rezension von Jürgen Sauer:

Das NRW-Sozialwerk Stukenbrock

Soziale Arbeit geschieht im Hier und Jetzt, was früher war, gerät schnell in Vergessenheit. Das ist schade, denn gerade in der jüngeren Vergangenheit schlummern oft faszinierende Innovationen, die nur darauf warten, dass man sie näher kennenlernt. Eine solche Innovation war von 1948 bis 1970 das Sozialwerk Stukenbrock, eine Aufnahme-Einrichtung des Landes NRW für Kriegs- und DDR-Flüchtlinge, Ostvertriebene und Spätaussiedler. Zwischen Bielefeld und Paderborn gelegen, erinnert auf dem heutigen Gelände der NRW-Polizeischule nichts mehr daran, dass hier zeitweise über 3.000 Menschen gelebt haben; es gab ein Krankenhaus, Geschäfte, Kirchen. Insgesamt sollten von hier aus rund 200.000 Menschen ihr neues Leben „im Westen“ starten. Allein schon diese Dimension lohnt, genauer hinzuschauen, Hintergründe zu erfahren, die handelnden Akteure kennenzulernen.

Ein ökumenisches Projekt

Das „Innovative“ am Sozialwerk beginnt mit dem Konzept: Nicht das Land leistet die Arbeit, sondern alle Wohlfahrtsverbände gemeinsam – erstmals in ihrer Geschichte. In einer Zeit, in der sich evangelische und katholische Kirche noch nicht viel zu sagen hatten, wurden sie hier in ihren Hilfswerken „zusammengeschweißt“, zusammen mit AWO, Rotem Kreuz und Westfälischem Blindenverein. Auf den Weg gebracht hatte diese Schicksalsgemeinschaft das neue NRW-Sozialministerium. Zur Verfügung stand nicht viel, im Grunde nur die zugigen Baracken des früheren Kriegsgefangenlagers Stalag 326. Das Sozialministerium entschied sich für den Begriff „Sozialwerk“ – etwas vollkommen Neues sollte geschaffen werden. Doch was war das genau?

Harte Lebensbedingungen

Frank Stückemann, evangelischer Pfarrer und Autor, ist es in akribischer Archivarbeit gelungen, das Besondere an der Arbeit des „Sozialwerkes“ aus der Perspektive der Wohlfahrtsverbände zu skizzieren. Vieles ist nur noch dürftig dokumentiert. Umso wichtiger Stückemanns Archivfunde, die es in sich haben. Erschütternd beispielsweise der Bericht einer Caritas-Schwester über die Wohn- und Lebensverhältnisse in den Baracken. Irritierend die offenbar miserable Arbeit mit Jugendlichen aus der DDR, von denen 10 bis 15 Prozent lieber wieder zurück in die „Zone“ gingen, als in Arbeitskommandos zu schuften … Gerade diese Details sind es, die das Buch lesenswert machen.

Paul Kewitsch als treibende Kraft

Das evangelische Hilfswerk (später Johanneswerk) und der Caritasverband für das Erzbistum Paderborn leisteten den größten Teil der Arbeit im Sozialwerk, entsprechend breiten Raum nehmen diese Akteure bei Frank Stückemann ein. Besonderes Gewicht erhält dabei Prälat Paul Kewitsch (1909 – 1997), Leiter der Kirchlichen Osthilfe im Diözesan-Caritasverband Paderborn. 15 Jahre vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil beweist er in einer Zeit, die noch in geschlossenen konfessionellen Milieus lebte, eine bemerkenswerte Weltoffenheit und ökumenische Weite. Seine theologische Durchdringung der Arbeit mit Migranten besticht auch heute noch. So spricht Kewitsch, der selbst ein Vertriebener aus Ostpreußen war, über die Heimatlosen als die „Kreuzträger“ ihrer Zeit. Er favorisiert kleine Gemeinschaften der (auch) geistlichen Beheimatung, sieht schon früh die Gefahr der „Individualisierung“ in der westlichen Kultur. Kewitsch war bestens vernetzt und zugleich ein „Macher-Typ“. Als „Vater der Förderschulen“, die erste gründet er im Sozialwerk, ging er in die NRW-Sozialgeschichte ein.

Frank Stückemann gebührt Respekt und Anerkennung für seine Arbeit, die wichtige und neue Erkenntnisse zum Sozialwerk Stukenbrock bietet. Für die Caritas im Erzbistum Paderborn ist sie gleichzeitig auch eine Würdigung ihres außergewöhnlichen Mitarbeiters und „Motors“ der damaligen Migrationsarbeit.

Jürgen Sauer

Frank Stückemann, Das NRW-Sozialwerk Stukenbrock 1948 -1970. Kirchliche und Freie Wohlfahrtspflege an Kriegs- und DDR-Flüchtlingen, Ostvertriebenen und Spätaussiedlern (Beiträge zur Westfälischen Kirchengeschichte, Band 48) Bielefeld 2022.

Quelle: Caritas in NRW 1/2023

Jürgen Sauer ist Leiter der Fachstelle für Grundsatzfragen und Öffentlichkeitsarbeit beim Caritasverband für das Erzbistum Paderborn e.V.

 

 

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