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Kommission für kirchliche Zeitgeschichte im Erzbistum Paderborn
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© Dokumentationsstelle Hardehausen

Lorenz Jaeger als Person wird in der 5. Tagung beleuchtet

Mit der Person Lorenz Jaegers beschäftigte sich die letzte Fachtagung der Reihe "Lorenz Kardinal Jaeger". Gleichzeitig wurde bei der Veranstaltung der Tagungsband des Vorjahres vorgestellt. Ein Tagungsbericht von Gisela Fleckenstein.

Annäherungen an den Menschen Lorenz Jaeger

Zur fünften und abschließenden Fachtagung des Forschungsprojekts „Lorenz Kardinal Jaeger (1892-1975)“ versammelten sich ca. 30 HistorikerInnen und TheologenInnen aus ganz Deutschland in der Katholischen Akademie Schwerte. Die Tagung wurde von NICOLE PRIESCHING (Paderborn) in ihrer Funktion als Vorsitzende der Kommission für kirchliche Zeitgeschichte im Erzbistum Paderborn geleitet. Im Mittelpunkt stand die Person Lorenz Jaeger mit ihren Beziehungen zu Kirche und Welt.

5. Fachtagung: Lorenz Jaeger als Person

Vater für seinen Klerus

Den Auftakt machte DOMINIK BURKARD (Würzburg) mit einem Blick auf die Vertrauensleute des Paderborner Oberhirten. Ausgangspunkt waren die Fragen: Wer hat Zugang zum Bischof? Wer wurde gehört? Wer durfte widersprechen? Zu diesen Personen gehörte Gustav Ermecke (1907-1987). Der Paderborner Erzbischof griff in seinem langen Episkopat regelmäßig auf die Expertise des Moraltheologen zurück. Gustav Ermecke war von 1941 bis 1945 sein erzbischöflicher Kaplan und Geheimsekretär, im Anschluss Lehrstuhlinhaber für Moraltheologie an der Theologischen Fakultät in Paderborn. Im Jahre 1965 wechselte er an die Ruhr-Universität Bochum, was das Verhältnis zum Paderborner Erzbischof spürbar belastete. Jaeger hatte versucht „seinen“ Professor in Paderborn zu halten. Die recht umfangreichen Briefwechsel im Nachlass Jaegers enthalten auch emotionale Reaktionen, jedoch ausschließlich von Gustav Ermecke. Die überlieferten Briefe geben Zeugnis von einem klugen Theologen, der jedoch stark seine eigenen Interessen fokussiert. Ganz im Gegensatz zu Lorenz Jaeger, der auf die Kritik Ermeckes eingeht, aber stets sachlich und unaufgeregt professionell bleibt.

MICHAEL BREDECK (Paderborn) nahm sich der im Nachlass Jaegers überlieferten umfangreichen Korrespondenz des Erzbischofs mit den Priestern an. Für die Zeit seines Episkopats von 1941 bis 1973 sind im Nachlass 23 Aktenbände vorhanden. Hinzu kommt der Briefwechsel mit zahlreichen Priestern aus dem Ostteil des Erzbistums (Kommissariat Magdeburg). Der Referent wählte Beispiele aus, die für Jaegers Beziehung zu den Geistlichen signifikant waren. Die Ergebnisse dieser Studien wurden mit Zeitzeugeninterviews gespiegelt. Auskunftsbereit waren der emeritierte Weihbischof Manfred Grothe und Prälat Theo Ahrens, die beide von Jaeger zum Priester geweiht wurden. Sie beschrieben den Erzbischof als starke Führungspersönlichkeit und bestätigten den Lektüreeindruck der Briefe, dass „seine Priester“ für Jaeger die „Werkzeuge“ für die Seelsorge waren. Im direkten Gespräch beschrieben beide den Erzbischof als distanziert. Ein Ergebnis war, dass Jaeger sich als „Vater des Klerus“ gesehen hat. Er agierte immer sachlich und deeskalierend und war besonders in den Auseinandersetzungen um neue pastorale Wege darum bemüht, dass sich keine Fronten unter den Geistlichen bildeten

NICOLE PRIESCHING (Paderborn) sprach über „Lorenz Jaeger und die Arbeitsgemeinschaft katholischer deutscher Frauen“. Dieses Verhältnis lässt sich weitgehend als Austausch auf der Ebene zwischen dem Erzbischof und Gertrud Ehrle (1897-1985) als Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft beschreiben. Die Jahrestagungen der Frauen fanden von 1952 bis 1969 regelmäßig in Paderborn statt. Priesching gab Einblicke in die Art der Zusammenarbeit auf der Grundlage eines gemeinsamen Frauenbildes. Dabei wurde das politische Zusammenwirken Jaegers mit dem Dachverband der Frauenverbände im Sinne konfessioneller Interessen skizziert. Die Vorstellung einer wesensmäßigen Unterschiedenheit von Mann und Frau war zwischen Jaeger (als Vertreter der Bischofskonferenz) und Ehrle Konsens, der auch die Eingaben und Erwartungen der Frauen gegenüber dem Zweiten Vatikanischen Konzil prägte.

Haushalt, Alltag und Freizeit im Dienste des Amtes

Mit dem bischöflichen Alltag im Haushalt, seiner Organisation und den Arbeitsabläufen beschäftige sich HERMANN-JOSEF SCHMALOR (Paderborn). In Ermangelung anderen Quellen griff Schmalor auf die „Erinnerungen“ der Geheimsekretäre zurück, welche nicht immer nüchtern und sachlich, sondern auch verklärend panegyrisch angelegt sind. Bei Jaeger stand die Erfüllung seiner Pflichten als Erzbischof ganz oben in der Prioritätenliste. Alles, was darüber hinausging, war zweitrangig. Dieses Bedürfnis zur unbedingten Pflichterfüllung brachte einen besonders großen Arbeitseifer mit sich, der andere Aktivitäten, insbesondere im häuslichen geselligen Bereich kaum zuließ. Die typischen, sogenannten „preußischen Tugenden“, die Jaeger sicher schon in seinem vorherigen Leben eingeübt und verinnerlicht hatte, machen sich auch in seiner Stellung als Erzbischof in seinem häuslichen Umfeld durchaus bemerkbar. Insbesondere sind hier Pünktlichkeit und Sparsamkeit zu nennen.

Mit dem Alltag des Bischofs anhand seiner handschriftlichen Terminkalender beschäftigte sich GISELA FLECKENSTEIN (Speyer). Die Kalender, die bis auf eine Ausnahme von 1936, erst 1950 einsetzen und bis in das Jahr seines Todes 1975 reichen, geben einen Einblick in den Tagesablauf des Paderborner Oberhirten, der bis zu seiner Emeritierung bzw. bis zur Ernennung seines Nachfolgers, ein umfangreiches Arbeitspensum absolvierte. Für viele Jahre gibt es jeweils drei Kalender. Kein Kalender, ob von Jaeger selbst, seinem Büro oder seinem Geheimsekretär geführt, enthält alle Termine und Erinnerungen. Der Alltag Jaegers war von seinen priesterlichen und bischöflichen Verpflichtungen geprägt. Viel Zeit nahmen die jährlichen Firmreisen und Visitationen in Anspruch. Der zweitgrößte Zeitanteil galt den Teilnahmen an bischöflichen Konferenzen und Tagungen sowie den liturgischen Verpflichtungen. Hinzu kamen viele persönliche und telefonische Besprechungstermine mit Priestern, Ordensleuten und der Bistumsverwaltung. Im Zusammenspiel der Terminkalender mit anderen Quellen wird mehr als deutlich, dass Lorenz Jaeger kaum ein Privatleben hatte. Die wenigen privaten Momente beschränken sich auf den Besuch von Familienangehörigen und auf die jährliche Urlaubszeit. Darüber hinaus war Jaeger quasi immer als Bischof im Dienst.

Mit dem Liborifest, dem wohl wichtigsten Fest der Paderborner Kirche, beschäftige sich WILHELM GRABE (Paderborn). In der Nachkriegszeit wurde der heilige Liborius als Schöpfer des christlichen Abendlandes präsentiert. Jaeger nutzte das Fest als Mittel der Kontaktpflege und Selbstdarstellung. Anknüpfend an die sich in den 1930er-Jahren intensivierenden Kontakte nach Le Mans trieb Jaeger nach Kriegsende als Takt- und Impulsgeber die Annäherung zwischen den beiden Bistümern voran. Das weltliche Liborifest wurde nach Kriegsende konzeptionell erweitert: Neben Markt und Kirmes trat ergänzend ein Kulturprogramm. Eine wichtige Zielgruppe war die Landbevölkerung, für die ab 1951 ein „Tag des Landvolks“ eingerichtet wurde, ein Veranstaltungsformat, das Jaeger als Bühne zu nutzen wusste. In den 1960er-Jahren begann das weltliche Liborifest sich vom kirchlichen zu emanzipieren. Neue Veranstaltungsformate lockten Hunderttausende in die Paderstadt. Durch die großen Publikumserfolge wurde die bis dahin unangefochtene Vorrangstellung des kirchlichen Libori massiv in Frage gestellt und stürzte die Paderborner Kirche in eine Identitätskrise. Als Antwort wurde das ursprünglich auf das Triduum beschränkte Kirchenfest auf Initiative Jaegers auf die ganze Festwoche ausgedehnt.

Den Freitagnachmittag beschloss ein Gespräch, das NICOLE PRIESCHING (Paderborn) mit dem Zeitzeugen P. Elmar Salmann OSB (Gerleve)  führte. Das Thema war „Biographische Erinnerung und Geschichtsschreibung: Wie sie einander überschreiben und verfremden“. Salmann war am 8. Dezember 1972 im Paderborner Dom von Lorenz Jaeger zum Priester geweiht worden. Als er Anfang 1973 in die Benediktinerabtei Gerleve eintreten wollte, musste er zuvor mit seinem Erzbischof ringen, denn dieser wollte keinen Priester verlieren. Das Gespräch drehte sich aber nicht nur um Erinnerungen, sondern reflektierte auch darüber, wie die Geschichtsschreibung des Jaeger-Projektes die Erinnerung verändert hat. Der Zeitzeuge historisierte sich selbst, indem er seine Erinnerung mit heutigem Wissen und Bewertungen in Dialog brachte. Gefragt wurde nach den Themenfeldern „Umgang mit der NS-Zeit“ und „Demokratisierung in der Kirche“ damals und heute sowie nach „Jaeger als Person“.

Selbstdarstellung in den Medien

MARKUS LENIGER (Schwerte) näherte sich der Person Jaegers mit filmischen Quellen. Leniger untersuchte in seinen beiden Beiträgen ausgewählte Auftritte Lorenz Kardinal Jaegers in Sendungen des WDR. Anhand von vier Interviews wurde der Frage nachgegangen, wie Jaeger das ihm angebotene Forum nutzte, welche Themen behandelt wurden und welchen Erkenntniswert die filmischen Quellen im Hinblick auf das Tagungsthema „Jaeger als Person“ boten. Allen vier Interviews – sie fanden aus Anlass runder Geburtstage, seines 30jährigen Dienstjubiläums und seiner Verabschiedung statt – ist eine wohlwollende Gesprächssituation gemeinsam. Jedoch gewinnen kritische Fragen z.B. zur Rolle Jaegers im Nationalsozialismus, zur Positionierung der Kirche im Bundestagswahlkampf 1972 und zur „Demokratisierung“ der Kirche zunehmend Raum. Jaeger kann seine Positionen ausführlich darlegen. Er präsentiert sich dabei als pragmatisch-konservativer, aber demokratischen Entwicklungen nicht grundsätzlich ablehnender Bischof. Auf der Bildebene wird diese demokratiefreundliche Selbstdarstellung durch den Verzicht auf bischöflichen Ornat mit Pektorale und der Wahl einfacher Priesterkleidung in den Interviews der Jahre 1971 und 1972 unterstützt. Er bleibt jederzeit kontrolliert in seiner Rolle als optimistischer, auf das rechte Maß von Veränderung und Bewahrung bedachter Oberhirte.

Von einer „soldatischen“ Haltung, eng verbunden mit einer kämpferischen priesterlichen als „Miles Christi“ hat Lorenz Jaeger selbst gesprochen. Sie wurzelte in seinen Erfahrungen und Prägungen. BARBARA STAMBOLIS (Münster) arbeitete heraus, dass Schneid, Härte, Treue, Gehorsam, Wehrhaftigkeit und Opferbereitschaft Jaegers zeit- und generationsspezifischen Vorstellungen und deren speziellen lebensweltlich katholischen Ausprägungen entsprachen. Entsprechende Werthaltungen standen in einer langen Tradition und erwiesen sich bis in die 1950er Jahre (und teilweise darüber hinaus) als durchaus konsensfähig. Doch mit kritischen Reflexionen über die NS-Zeit und den Zweiten Weltkrieg sowie Orientierungen an zivilen Vorbildern ging auch ein allmählicher grundlegender Einstellungswandel einher. Diese grundlegenden gesellschaftlichen und generationellen Veränderungsprozesse blieben Jaeger unverständlich und fremd.

In einem zweiten Beitrag analysierte BARBARA STAMBOLIS (Münster) Jaeger auf Fotografien des Lippstädter Fotografen Walter Nies, der ihn um 1950 wiederholt abgelichtet hat, allerdings sind diese Fotos kaum bekannt. Die Aufnahmen zeigen einen auf unterschiedlichen Bühnen gleichermaßen sicher agierenden und zugleich bei aller Routine des bischöflichen Alltags „authentisch“ wirkenden Lorenz Jaeger, zumeist von vielen Menschen umgeben: bei Einweihungen, kirchlichen Feiern im Jahreslauf und nicht zuletzt Wallfahrten. Etliche Aufnahmen vermitteln den Eindruck, dass die Gläubigen auf ihn warteten, sich freuten, wenn er kam und ihren Erwartungen entsprach. Die Fotos zeigen indes aus heutiger Sicht betrachtet auch, dass die vertrauensvoll selbstverständliche Ehrerbietung Gläubiger gegenüber dem Bischof eine Grundlage bischöflicher Glaubwürdigkeit und Machtfülle war. Diese Begegnungen unterlagen Veränderungen und gehören auf den Fotos in sichtbarer Weise der Vergangenheit an.

Prägende Gestalt des Erzbistums und des deutschen Katholizismus

Erzbischof Lorenz Jaeger war über mehr als drei Jahrzehnte hinweg eine der prägendsten Gestalten des deutschen Katholizismus, der sich seiner Rolle durchaus bewusst war. Der Kardinal war, so ein Ergebnis der Tagung, wenig privat. Als Person verschmolz er mit seiner Rolle als Bischof. Dies Rolle verortete ihn in einer „alten Welt“, die sich noch über die Standeszugehörigkeit definierte. Dieser Stand hat von Jaeger als Person bestimmte Tugenden verlangt, zu denen auch der Gehorsam zählte. In seiner Person gibt es ein Zusammenspiel von priesterlicher und soldatischer Identität. Doch dahinter blitzt immer der Mensch Lorenz Jaeger auf, wie die Referentinnen und Referenten feststellen konnten. Die Bücher zu den vier vorausgegangenen Tagungen: „Jaeger als Theologe“ (2018), „Jaeger als Ökumeniker“ (2019), „Jaeger als Kirchenpolitiker“ (2020) und „Jaeger als Seelsorger“ (2021) sind erschienen. Der fünfte und abschließende Band „Jaeger als Person“ erscheint im nächsten Jahr.

Tagungsübersicht

Dominik Burkard (Wüzburg): Lorenz Jaegers Vertrauensleute

Michael Bredeck (Paderborn): Kardinal Jaeger und die Priester seines Erzbistums. Augsewählte Aspekte einer Beziehungsgeschichte

Nicole Priesching (Paderborn): Lorenz Jaeger und die Arbeitsgemeinschaft katholischer deutscher Frauen

Hermann-Josef Schmalor (Paderborn): Arbeiten mit Lorenz Jaeger – Haushalt, Abläufe, Sekretäre, Schwestern, Fahrer

Gisela Fleckenstein (Speyer): Alltag eines Bischofs. Ein Blick in die Terminkalender Lorenz Jaegers

Wilhelm Grabe (Paderborn): Jaeger und Libori

P. Elmar Salmann OSB (Gerleve): Biographische Erinnerung und Geschichtsschreibung. Wie sie einander überschreiben und verfremden

Markus Leniger (Schwerte): Lorenz Jaeger im Fernsehen. Ausschnitte aus Sendungen des WDR (1967-1973)

Markus Leniger (Schwerte): Lorenz Jaeger in filmischen Quellen

Barbara Stambolis (Münster): Lorenz Jaeger. >>Miles Christi<< und >>Kreuzfahrer<<. Priesterliche und soldatische Identität

Barbara Stambolis: Lorenz Jaeger, fotografiert von Walter N

Der Tagungsband wird voraussichtlich im Sommer 2023 erscheinen.