Die Diskussion um sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland hat die Kommission veranlasst, auf der Grundlage eines Aktenbestandes überwiegend aus der Amtszeit Erzbischof Jaegers eine Vorstudie zu erarbeiten. Diese war Anlass für die Initiative, der Bistumsleitung ein kirchenhistorisches Forschungsprojekt vorzuschlagen.
In einer Rahmenvereinbarung mit der Universität Paderborn brachte das Erzbistum im Sommer 2019 ein unabhängiges Forschungsprojekt mit dem Ziel der Aufarbeitung von Fällen des sexuellen Missbrauchs auf den Weg. Unter dem Titel „Missbrauch im Erzbistum Paderborn – Eine kirchenhistorische Einordnung. Die Amtszeiten von Lorenz Jaeger und Johannes Joachim Degenhardt (1941-2002)“ soll die Studie Erkenntnisse zum Umfang des Missbrauchs, über die Gewalterfahrungen der Betroffenen und die daraus resultierenden Folgen für ihren weiteren Lebensweg sowie zu den Umgangsweisen der Verantwortlichen liefern.
Auftrag an den Lehrstuhl für Religions- und Kirchengeschichte
Das auf drei Jahre angelegte Projekt wird von Professorin Dr. Nicole Priesching, Inhaberin des Lehrstuhls für Religions- und Kirchengeschichte an der Universität Paderborn, geleitet. Dr. Christine Hartig, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl, ist mit der Bearbeitung des Forschungsauftrags betraut. Für eine umfassende Aufarbeitung hat Generalvikar Alfons Hardt uneingeschränkten Aktenzugang zugesichert. Die beiden Wissenschaftlerinnen unterliegen keiner Weisungsbefugnis des Erzbistums und sind in der Gestaltung ihrer Arbeit unabhängig.
Ziel der Untersuchung
„Es gilt herauszufinden, welche Personenkreise innerhalb der Kirche von Missbrauchsfällen wussten, wie Entscheidungen über das Ergreifen oder Unterlassen weiterer Maßnahmen getroffen wurden und ob strukturelle Bedingungen existierten, die Missbrauchshandlungen fördern konnten“, erklärt Priesching. Alle bisherigen Forschungsergebnisse legen der Wissenschaftlerin zufolge nahe, dass sich die kirchlichen Institutionen lange vor einer Auseinandersetzung mit diesem Thema gescheut und so das Leid der Betroffenen nicht ausreichend anerkannt haben. „Auch gesamtgesellschaftlich wurden Ausmaß und Folgen des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen anhaltend unterschätzt und als ‚Ausnahmehandlung‘ betrachtet. Vor diesem Hintergrund sollen auch die kirchlichen, juristischen und medizinischen Fachdebatten analysiert werden, die eine solche Haltung begünstigt haben“, so Priesching weiter.
Analyse von Akten und Zeitzeugnissen
Neben der Analyse administrativer Quellen aus kirchlichen und staatlichen Archiven, darunter Personal- und Strafakten, gehören Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zum Forschungsprojekt. Die Ergebnisse sollen der Öffentlichkeit nach Projektende in Buchform zugänglich gemacht werden.
Ausdehnung der Forschungen auf die Amtszeit Erzbischof Beckers
Auf Empfehlung der im August 2022 gegründeten unabhängigen Aufarbeitungskommission des Erzbistums wird der Forschungsauftrag auf die Amtszeit des im Oktober 2022 emeritierten Erzbischofs Hans-Josef Becker ausgeweitet. Dieses zweite Teilprojekt wird ebenfalls am Lehrstuhl von Professorin Priesching erarbeitet. Schwerpunktmäßig wird sich der Historiker Jan Jeskow dieser Aufgabe widmen. Auch die Ergebnisse dieser Teilstudie sollen in Buchform veröffentlicht werden.